Eigentlich geht mich das ja nichts an - die
Iraker sind die, die hierzu zuallererst irgend etwas sagen sollten. Aber eine Meinung habe ich natürlich dennoch.
Die gegenwärtige Lage im Irak ist meines Erachtens: Jede beliebige Gruppierung kämpft mit der Waffe in der Hand um politischen Einfluss, Geld oder einfach nur aus missverstandenem Patriotismus gegen die Besatzer. Die Regierung wird (mE zu Recht) von den Widerständlern als Marionette der USA betrachtet und folglich nicht akzeptiert. Das Land ist im Grunde, was das Gefühl der Bewohner angeht, dreigeteilt, in den kurdischen Norden, die sunnitische Mitte und den schiitischen Süden.
Oft wird behauptet, ein wesentliches Problem des Iraks seien seine schlecht ausgebildeten und ausgerüsteten Truppen. Dem ist nach allen zu findenden Quellen aber nicht so. Exemplarisch:
Die englische Wikipedia beschreibt Ausrüstung und Ausbildung, und im Wesentlichen läuft alles darauf hinaus, dass sie ausgebildet werden wie eine NATO-Armee und Ausrüstung aus dem Ausland erhalten haben. Das sollte eigentlich langen, oder, zumal viele heutige Soldaten schon früher eine Uniform trugen? (Obwohl es natürlich sehr unglücklich ist, irakische Soldaten mit der charakteristischen Helmform der Amerikaner auszustatten.)
Überhaupt ist die Vorstellung, man könne das irakische Problem lösen, wenn man nur laut genug rumballere, schlicht falsch.
Die Ursachen des katastrophalen Zustands liegen in dem Angriff der USA und ihrer Koaltionstruppen, der von vorn bis hinten ein völkerrechtswidriges Verbrechen war, und die Iraker, bei allem verdienten Hass auf Saddam Husseins Regime, können die USA und deren Abhängige folgerichtig nicht als Freunde akzeptieren. (Man stelle sich vor, die Situation träfe auf das eigene Heimatland zu: Unprovoziert angegriffen, mit lächerlich unterlegenen Mitteln dennoch gekämpft, natürlich haushoch, aber nicht so schnell wie von aller Welt erwartet verloren, und dann auch nur vorzeitig durch die Dollarwaffe... wer würde da anders empfinden?). Die weitere Anwesenheit der US-Truppen beweist, dass der Irak eben nicht ein unabhängiges, "freies" Land ist, und die Frage, wer die Öllieferungen aus dem Irak erhält, kann sich jeder Iraker selbst beantworten.
Das Land kann nicht zur Ruhe kommen, bevor die Ursachen nicht beseitigt sind:
- Eine (nicht
die) Regierung muss von allen Irakern akzeptiert werden. Eine Instanz, die Streit schlichtet, im Sinne ihres Volkes handelt und die im Großen und Ganzen von allen als die legitime Regierung des Landes anerkannt wird.
- Dazu ist es zwingend erforderlich, dass als notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung die US- und Koaltionstruppen sofort abziehen, vorzugsweise mit etwas medialem Trara um einen Streit zwischen der Lokalregierung und den USA, so dass der Eindruck entsteht, die lokale Regierung habe wesentlich dazu beigetragen, dass die Amerikaner verschwinden. (Das darf auch gerne stimmen, auch in Bezug auf gewisse wirtschaftliche Verflechtungen, die inzwischen existieren.) Wer befürchtet, dass dann der Irak "im Chaos versinke", der sei gefragt, was der Irak denn bitte jetzt habe.
- Sind die Amerikaner erst fort, muss in den Medien und überall die Frage an die Aufständischen gestellt werden: Warum machst Du Dein Land kaputt? Viele werden ohnehin aufhören, und die ins Land geströmten Ausländer werden zu weiten Teilen auf neuen Schlachtfeldern versuchen, gegen den Erzfeind zu kämpfen. Wer aber weitermacht (und das werden zunächst einige sein), dem muss vor Augen geführt werden, was er damit erreicht - und was nicht.
- Wenn dies eine Weile stattgefunden hat, kann man beginnen, mit den verschiedenen Gruppierungen zu reden, Angebote unterbreiten (Generalamnestie, vorbedingungslose Verhandlungen mit allen Akteuren). Dies kann durchaus dazu führen, dass das Land in drei neue Staaten zerfällt. Auch das muss ein mögliches Ergebnis der Verhandlungen sein.
- Gleichzeitig muss die wirtschaftliche Situation des Irak unbedingt binnen maximal drei Jahren bedeutend gebessert werden. Die Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht, wenn man sich traut, die Ölvorräte wieder zu verstaatlichen, nicht nur de jure, sondern auch de facto. Privatisierung, wenn denn das persönliche ideologischer Herz daran hängt, ist für später. Wenn die Amerikaner sich (zu Recht) schuldig fühlen sollten, können sie gerne Kriegsreparationen leisten.
Es gibt durchaus Wege aus dieser Krise, und sie sind gar nicht so schwer zu erkennen. Leicht zu gehen sind sie natürlich nicht. Aber das ist das derzeitige Chaos wohl noch weniger.