Der neue Jugend-Medien-Staats-Vertrag (JMStV), der am 01.01.2011 als Gesetz in allen sechzehn deutschen Bundesländern in Kraft treten wird, enthält eine Reihe von neuen Verpflichtungen zum Jugendschutz für Webseitenbetreiber und legt Bußgelder bis zu einer halben Million Euro für den Fall der Nichtbeachtung fest. Einige interpretieren dieses Gesetz so, dass danach jede Website (also zum Beispiel auch blog.heinscher.de) einer Kennzeichnungspflicht ihrer Inhalte zur automatischen Einschätzung der Alterfreigabe unterliege.
Bereits
drei Be- kannte von mir reagieren darauf so, dass sie ihr Blog und ihre Website(s) demnächst offline nehmen oder generell Zugriffsbeschränkungen einrichten, um sich nicht unkalkulierbaren Risiken auszusetzen. Weitere betroffene Websites nennt heise in seinem
Newsticker.
Ich werde dergleichen nicht tun, und wähne das Gesetz auf meiner Seite. Zur Erinnerung:
Artikel 5
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Der misstrauische Mensch sieht sofort, dass Absatz 2 hier von einer Elite ziemlich schlitzohrig ausgenutzt werden könnte, um unter dem Deckmantel des Jugendschutzes unliebsame Stimmen mundtot zu machen. Aber das ist mit dem JMStV ja nicht der Fall. Es geht ja wirklich nur um den Jugendschutz. Nicht wahr?
Warum aber machen sich dann intelligente und renommierte IT-Experten solche Sorgen? Die Verfassung schützt sie doch?
Die Frage ist natürlich naiv. Dass die Interpretation unserer Verfassung durch Regierungen und Verfassungsgerichte in den letzten beiden Jahrzehnten immer weniger bürgerfreundlich wurde, ist eine Wahrnehmung, der sich immer weniger politisch interessierte Bürger entziehen können. Man mag es für Paranoia halten, aber die Bezeichnung "gesundes Misstrauen" ist kaum weniger zutreffend.
Folglich heisst es wieder einmal: Wachsam sein! Wachsamkeit, das heisst auch: Genau hinsehen. Der JMStV besagt:
[...]
§ 5
Entwicklungsbeeinträchtigende Angebote
(1) Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern
oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und ge-
meinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, verbreiten oder zugäng-
lich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der
betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen. Die Altersstufen
sind:
1. ab 6 Jahren,
2. ab 12 Jahren,
3. ab 16 Jahren,
4. ab 18 Jahren.
Die Altersstufe „ab 0 Jahre“ kommt für offensichtlich nicht entwicklungsbeein-
trächtigende Angebote in Betracht. Bei Angeboten, die Inhalte periodischer
Druckerzeugnisse in Text oder Bild wiedergeben, können gegen den Anbieter
erst dann Maßnahmen ergriffen werden, wenn eine anerkannte Einrichtung der
Freiwilligen Selbstkontrolle oder die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM)
festgestellt hat, dass das Angebot entwicklungsbeeinträchtigend ist.
[...]
(8) Absatz 1 gilt nicht für Nachrichtensendungen, Sendungen zum politischen
Zeitgeschehen im Rundfunk und vergleichbare Angebote bei Telemedien, es sei
denn, es besteht offensichtlich kein berechtigtes Interesse gerade an dieser
Form der Darstellung oder Berichterstattung.“
[...]
§ 24
Ordnungswidrigkeiten
[...]
(3) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 500.000 Euro geahndet werden.
[...]
Das finanzielle Risiko ist also potentiell sehr hoch, aber: Die Kennzeichnungspflicht ist, soweit ich es sehen kann, auf viele Websites überhaupt nicht anwendbar, das sie kaum einschlägigen Content beinhalten. Zudem können die meisten Blogs als unter §5 Absatz 8 des Gesetzes fallend betrachtet werden, da sie eher politische Inhalte transportieren als Bilder gleich welcher Art.
Ja, wenn man bösartig interpretiert, kann man versuchen, Websitenbetreibern daraus einen Strick zu drehen, und zweifellos werden manche
Abmahnanwälte genau das versuchen. Ja, das Ganze riecht vielleicht ein wenig nach einem Versuch, den Kapitalaufwand für das Verbreiten von Webinhalten zu erhöhen, damit diese ganzen lästigen Blogs aufhören zu existieren.
Aber kann die Antwort darauf lauten, sich effektiv den Mund verbieten zu lassen und auf ein verfassungsmäßiges Recht freiwillig zu verzichten, quasi in vorauseilendem Gehorsam? Doch wohl kaum!
Nein, da gehe ich lieber das Risiko ein, meinem Anwalt Arbeit zu geben und nötigenfalls nach Karlsruhe zu fahren. Dieses Blog bleibt online, ebenso wie meine Websites.