Montag, 14. März 2016
Auf meine gestern beschriebene Mail hat der erste Abgeordnete geantwortet, nämlich der der Grünen-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Heinscher,
haben Sie besten Dank für Ihre Mail vom gestrigen 13. März 2016. Gerne beantworte ich Ihre Frage, auch wenn Sie, das entnehme ich zumindest der Überschrift Ihres entsprechenden Blogpost, der Meinung sind, dass Politik auf die von Ihnen skizzierten Fragen nicht im Stande ist, Antworten zu liefern, wir als Abgeordnete nur "Verwalter" seien. Das sehe ich grundsätzlich anders und lege Ihnen gerne nahe, warum das so ist. Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit digitalpolitischen Themen, auch mit der Auswirkungen der stetigen Weiterentwicklung von Themen wie der künstlichen Intelligenz und möglichen Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Zusammenleben. In der vergangenen Wahlperiode, das werden Sie wahrscheinlich wissen, hat sich die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" bereits intensiv mit den durch Internet und Digitalisierung hervorgerufenen Veränderungsprozessen auseinandergesetzt, u.a. mit dem Thema "Künstliche Intelligenz".
So verweist u.a. der Zwischenbericht der Projektgruppe "Bildung und Forschung" auf die Notwendigkeit, derartige technologische Entwicklung auch gesetzgeberisch intensiv zu begleiten. In diesem Zusammenhang wird unter anderem auf Technologien verwiesen, die unter der Bezeichnung Ambient Assisted Living entwickelt werden, also als Assistenzsysteme im Dienste älterer Menschen. Hintergrund ist der demographische Wandel und die daraus resultierende Herausforderung für die personal- und kostenintensive Gesundheitsversorgung
und Pflege. AAS-Technologien sollen mittels intelligent vernetzter Sensorsysteme Lösungen bieten, die älteren Menschen einen längeres Verbleiben in ihrer häuslichen Umgebung und damit größere Selbstbestimmung ermöglichen. Zum anderen sollen automatisierte Routineuntersuchungen den Gesundheitszustand von Patientinnen und Patienten zu Hause überwachen (beispielsweise anhand von Blutdruck- oder Blutzuckermessung) und auf diese Weise den regelmäßigen Gang zum Arzt ersetzen.
Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, welche Potenziale diese technischen Lösungen, gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung bieten. Gleichzeitig, und da gebe ich Ihnen vollkommen Recht, weisen wir seit langem darauf hin, dass sie in mehrfacher Hinsicht ambivalent sein können. Um bei unserem konkreten Beispiel zu bleiben: Technische Assistenzsysteme werden zwar künftig möglicherweise helfen, im Alter beispielsweise eine längere Selbstständigkeit zu erhalten. Soziale Probleme wie Isolation und Einsamkeit im Alltag können jedoch bestimmt nicht mit technischen Hilfsmitteln beantwortet werden. Auch stellen sich andere, tiefgehende Fragen: Wer haftet beispielsweise bei Fehlern, z.B. bei der Verabreichung von Medikamenten? Oder: Wie stellen wir sicher, dass der Datenschutz gewahrt bleibt? Welche ethischen Maßstäbe sollen gelten?
Ob Big Data, Smart-Metering oder eben die Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz. Auf die Notwendigkeit einer intensiven Begleitung dieser (technischen) Entwicklungen durch den Gesetzgeber machen wir, sowohl als Bundestag als auch als Grüne Bundestagsfraktion, seit langem aufmerksam. Zweifellos bieten all diese Technologien große Chancen. Um sie tatsächlich nutzen zu können, müssen wir jedoch grundlegende gesellschaftliche und rechtliche Übereinkünfte auf einen etwaigen Anpassungsbedarf hin überprüfen und dringend notwendige Nachjustierungen vornehmen. Leider verpasst es die Bundesregierung bis heute, eine dringend benötigte Kompetenzbündelung vorzunehmen und die so drängenden Themen angemessen von politischer Seite zu begleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Konstantin v. Notz
Ich antworte jetzt mit folgendem:
Sehr geehrter Herr von Notz,
vielen Dank für Ihre rasche Antwort. Ich fürchte allerdings, dass ich das, was ich hier als die konkrete Problemstellung sehe, nicht genug verdeutlicht habe.
Beinahe jedwede Aufgabe wird von dieser Art Maschine übernommen werden können, und das in sehr naher Zukunft. Ich will gern davon ausgehen, dass wir uns keinerlei Sorgen um Science-Fiction-Szenarien nach Art von "Terminator" oder dergleichen machen müssen. Ich befürchte hier ausdrücklich nicht, dass gute Ingenieurskunst etwaige Probleme mit der Sicherheit dieser Technik nicht in den Griff bekommt, lange bevor solche Anwendungen die Labore verlassen.
Das epochale, in seiner Auswirkung gar nicht übertreibbare Problem ist meines (und bei weitem nicht nur meines) Erachtens ein ganz anderes. Lassen Sie es mich an einem historischen Beispiel verdeutlichen.
Um 1910 herum gab es in Deutschland etwa sechs Millionen Pferde. Jedes Einzelne davon hatte Arbeit in einer von vielen Branchen der Wirtschaft. Man brauchte sie, weil sie etwas konnten, das anders nicht zu haben war: Ihre Muskelkraft zur Verfügung stellen.
Heute gibt es in unserem Land nur noch etwa eine Million Pferde, die fast ausnahmslos im Unterhaltungsbereich tätig sind. Die anderen fünf Millionen Planstellen für Pferde sind gestrichen worden, weil sie in einer maschinisierten Wirtschaft komplett überflüssig sind.
Und wir haben jetzt hier eine Technik, die das, was der Verbrennungsmotor mit der Muskelkraft der Pferde macht, mit der Denkleistung menschlicher Arbeitnehmer macht.
Dabei ist das nur die erste, unmittelbarste Folge. Auch das Militär wird durch die Existenz künstlicher Intelligenz grundlegend transformiert. Wer historische Prozesse betrachtet, weiß, dass aus dem Zusammenspiel realer Machtverhältnisse in Wirtschaft und Militär politische Ordnungen entstehen. Wenn theoretisch ein Einzelner eine ganze Armee und mehrere Fabriken mit absoluter Macht und Kontrolle befehligen kann, was impliziert das dann für die Stabilität der Demokratie?
Es ist meines Erachtens wichtig, sich jetzt mit diesen Fragen zu befassen. Nicht, wenn es schon zu spät ist. Nur wenn wir rechtzeitig darüber diskutieren, wie wir diese Transformation in unserem Sinne kanalisieren, können wir hoffen, rechtzeitig eine konsensfähige Lösung zu finden.
Mit freundlichem Gruß,
Ingo Heinscher
Ich halte Euch über das Weitere auf dem Laufenden.
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