Donnerstag, 12. August 2021Atomkraft – was ist das Problem?
In den letzten ein, zwei Jahren werden die Leute lauter, die auch in Deutschland für eine Rückkehr zur Atomkraft, oder, im PR-Sprech der entsprechenden Lobyy, "Kernkraft", plädieren.
Ich bin nun als Science-Fiction-Autor grundsätzlich ein großer Fan von Technik, und sowieso Optimist. Trotzdem kann ich sehen, warum unsere Kernspaltungskraftwerke so viele Probleme verursachen, dass sie am Ende einfach keine sinnvolle Option sind. Im Einzelnen: – Atomkraftwerke sind zu teuer. Das Finanzunternehmen Lazard untersucht regelmäßig die Kosten für verschiedene Energieformen. Seit mehreren Jahren bereits kommt die jeweilige Studie des Unternehmens zu dem Schluss, dass Atomkraftwerke einen Erzeugerpreis von etwa 129 bis 198 US-Dollar pro MWh benötigen, um profitabel zu sein, während an Land installierte Windkraftanlagen bei 26 bis 54 US-Dollar pro MWh liegen. Das oft vorgebrachte Argument, Atomenergie sei ja so billig, ist also offensichtlich falsch. Die Proponenten von Atomkraft werfen an diesem Punkt der Debatte üblicherweise irgendwelche fantastischen neuen Konzepte wie "Small Modular Reactors" (SMR's) in den Ring, von denen noch kein einziger je gebaut wurde, oder sie verweisen auf mit mangelhaften Sicherheitsstandards gebaute russische oder chinesische Reaktoren hin, die angeblich viel günstiger seien. Kann man machen, ist dann aber ein Hazardspiel. – Atomkraftwerke produzieren ein nach wie vor ungelöstes Müllproblem. Es gibt auf der ganzen Welt ein einziges Endlager für hochradioaktive Abfälle, und dies ist in Finnland im Bau. Es wird in Sichtweite der Ostsee gebaut, was natürlich in Zeiten eines steigenden Meeresspiegels sofort als ganz wunderbare Idee ins Auge springt. Überall sonst auf der Welt hat man aber nicht einmal das. Noch weiß niemand, was mit diesen Abfällen anzufangen ist. Proponenten der Atomkraft sagen dann meist, na, irgendwann in der Zukunft wird schon irgendwem irgendwas einfallen. Dazu muss man sagen, dass wir dieses Versprechen seit 70 Jahren hören und es immer noch nicht eingelöst wurde. Mehr Atomkraft bedeutet also mehr Müll, und damit die Vergößerung eines ungelösten Problems. – Atomkraftwerke erzeugen zusätzliche Probleme im Falle von Naturkatastrophen. Wir hatten vor vier Wochen im Westen Deutschlands schreckliche Überschwemmungen. 170 Menschen starben, weil die lokalen Behörden sich gar nicht vorstellen konnten, dass es so schlimm werden würde. Allseits ist man sich einig, dass solche Ereignisse im Rahmen der Klimakatastrophe an Häufigkeit zunehmen werden. Selbstverständlich kann es so auch dazu kommen, dass eines der (ausnahmslos an Flüssen installierten) Atomkraftwerke der Welt in Mitleidenschaft solcher Fluten gezogen werden wird. Fukushima war auch "flutsicher". Oder eben auch nicht. Es wäre eine dumme Idee, dieses zunehmende Risiko auch noch zu vergrößern. – Atomkraftwerke fördern die nukleare Waffenproliferation. "Neinnein", sagen die Atomkraftbefürworter an dieser Stelle sofort wie aus der Pistole geschossen. "Atomkraftwerke haben mit Atomwaffen gar nichts zu tun, und Atomkratwerke zu betreiben macht es keineswegs leichter, Atomwaffen zu bauen!" Aber das ist bestenfalls ein Irrtum, schlimmstenfalls eine Lüge. Natürlich muss die Anreicherung von Uran für eine Uranbombe weit stärker erfolgen als für den Brennstab eines AKW. Aber wer Experten für die eine Technik hat, kann die andere natürlich um so leichter bauen. Dazu kommt, dass einige Reaktortypen Plutonium als Abfall produzieren. Eine Plutoniumbombe ist zwar etwas schwieriger zu bauen als eine Uranbombe, aber das wird niemanden hindern, der eine solche Bombe zu brauchen glaubt. Weiterhin entstehen auch bei anderen realen oder herbeiphantasierten Reaktortypen waffenfähige Materialen – sogar beim Betrieb der kanadischen Natururanreaktoren oder den mancherorts als Rettung gefeierten theoretischen Ideen von Thoriumreaktoren. Tatsächlich ist das der eigentliche Grund, warum Atomreaktoren trotz ihrer schlechten Wirtschaftlichkeit weiterhin betrieben und vom Staat subventioniert werden: Weil sich damit zumindest theoretisch die Möglichkeit eröffnet, Atomwaffen relativ schnell zu bauen. Das sind vier Probleme, von denen mir lieber wäre, wenn die Menscheit sie nicht hätte. Aber da hört die Diskussion leider nie auf. In Deutschland gibt es eine kleine, aber laute Gruppe, die fordert, doch wenigstens die bestehenden Reaktoren weiter zu betreiben, denn diese seien schon bezahlt und damit sei das billiger als in obiger Kalkulation. Was natürlich stimmt, das Geld für den Bau dieser Reaktoren stammte zu einem guten Teil aus Subventionen, darum sind die jetzt, wo sie schon mal stehen, wirtschaftlich, solange es keine Katastrophen gibt. Aber damit gibt es zwei ganz andere, riesige Probleme. Erstens die Personalstruktur: Das Personal, für das es schon seit langer Zeit Nachwuchsschwierigkeiten gab, ist längst auf Ruhestand, Vorruhestand oder einen Arbeitsplatzwechsel fixiert, schließlich ist in weniger als 18 Monaten nach derzeitiger Planung der Atomofen aus. Dieses Personal dazu zu bewegen, übers Rentenalter hinaus weiter zu arbeiten, dürfte nicht leicht (und sicher auch nicht billig) sein. Zweitens kann man sich denken, dass so kurz vor dem Beginn des Rückbaus die Verträge bereits geschlossen sein müssen. Jetzt in letzter Sekunde zu sagen, man brauche diese (sehr teure) Leistung doch nicht, führte zu Vertragsstrafen. Im schlimmsten Fall müsste man den Rückbau zweimal bezahlen, was den Preis in die Höhe triebe. "Einfach weiter laufen lassen" ist also alles andere als einfach. Die beiden kleineren, im Prinzip lösbaren (aber dennoch ungelösten) Probleme der Dauer des Gesetzgebungsverfahrens zum Ausstieg aus dem Ausstieg, welches länger dauern dürfte als 18 Monate, und die Tatsache, dass diese Reaktoren schon alt und folglich störanfällig sind, braucht man da gar nicht im Detail erörtern. Nur Deutschland steigt aus? Es wird auch gerne behauptet, nur Deutschland steige aus der Atomkraft aus. Doch auch das ist so nicht korrekt. Auch in anderen Ländern mit vernünftigen Sicherheitsstandards werden keine neuen AKW gebaut, weil sie eben einfach zu teuer sind (und das trotz weltweit neidriger Zinsen, welche Großprojekte ja im Prinzip einfacher zu finanzieren machen). Sofern de lokale Regierung nicht ein, nun ja, nicht primär wirtschaftliches Interesse an den AKW hat (siehe oben), gibt es auch ohne Ausstiegsbeschluss keine Zukunft für Atomkraft, nur werden die Todeszuckungen dieser Erzeugungsform dann eben länger dauern. Atomkraft in Deutschland ist vorbei, und auch andernorts kann Atomkernspaltung als Stromerzeuger wirtschaftlich nicht mit anderen Stromerzeugungsmethoden mithalten. Das Stromnetz Atomkraftwerksbefürworter behaupten dann gern, mit vielen erneuerbaren Energiequellen, also Wind und Sonne, sei ein "Grundlastkraftwerk" wie ein AKW zwingend nötig, und darum sei das Stromnetz ja eine Mischkalkulation, und dann rechne sich ein AKW wieder. Nur: Atomkraftwerke brauchen etwas Zeit, um ihre Leistung zu erhöhen. Mehr Zeit, als man üblicherweise hat, wenn ein ungeplanter Aufwuchs des Verbrauchs stattfindet. . Die verlinkte Quelle behauptet zwar anderes, orientiert sich bei ihrer Schlussfolgerung jedoch an einem durch fossile Kraftwerke gestützten Netz, in dem andere Erzeuger schneller hochfahren können, um den nötigen Strom zu liefern. Aber fossile Kraftwerke sind ja in Zukunft keine Option mehr. Wie soll das Stromnetz also in Zukunft funktionieren? Es wird also in Zukunft keine AKW in Deutschland geben, aus vielen guten Gründen. Aber wie wird das Stromnetz dann funktionieren, wenn unser gesamter Strom aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse kommt? Mit Speichern natürlich. Der wichtigste davon werden wiederum Gaskraftwerke sein müssen, deren Brennstoff aber aus Power-to-Gas-Anlagen stammt, also Einrichtungen, die aus überschüssigem Solar- und Windstrom Methan oder gar Wasserstoff herstellen. Diese Gase können im bestehenden Erdgasnetz über Monate gespeichert werden. Ergänzend dazu, als Kurzzeitspeicher, sind große Batterien das Mittel der Wahl. Einzelne solcher Batterien existieren bereits, aber die Versäumnisse der Bundesregierungen der letzten Jahre haben dazu geführt, dass hier nicht genug Ausbau (bei weitem nicht) stattfand. Das muss sich natürlich ändern, egal wer nächsten Monate letztlich die Wahl gewinnt. Aber technisch ist es natürlich möglich, ein rein auf Erneuerbaren basierendes Stromnetz zu schaffen. Man muss es halt tun und sich nicht mit den Vorstellungen aufhalten, die Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelt wurden. Der Kampf der Atomlobby ist verloren, sie hat es nur noch nicht eingesehen. Trackbacks
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