Dienstag, 12. April 2016
Reichlich verspätet erreicht mich nun auch eine Antwort von Thomas Jarzombek von der CDU:
Sehr geehrter Herr Heinscher,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Wie Sie habe ich die Berichterstattung zum Sieg des von Google bzw. seiner Tochter Deep Mind entwickelten Computers AlphaGo und dem menschlichen Spieler Lee Sedol aufmerksam verfolgt. Ich habe das Gefühl, das Interesse am Thema Künstliche Intelligenz hat damit neuen Auftrieb bekommen. Zwischen dem Sieg des IBM-Rechners Deep Blue über den Schachweltmeister Gary Kasparov und den Sieg von AlphaGo liegen jetzt 19 Jahre. Erstmals verlor ein amtierender Weltmeister im Schach unter Wettbewerbsbedingungen gegen einen Computer.
Ohne das Spiel Go wirklich durchdringen zu können, verstehe ich, dass es ungleich komplexer ist als Schach. Das Spielfeld ist größer und es gibt eine unüberschaubare Möglichkeit von Spielzügen. Der technische Fortschritt in diesem Bereich ist also beeindruckend, unmittelbar getrieben durch immer bessere technische Möglichkeiten zur Analyse und Verarbeitung umfangreicher Datenmengen. Alleine für das Spiel gegen Lee Sedol nutzte AlphaGo 1.920 Prozessoren und zusätzlich die Rechenkraft 280 Grafikkarten.
Vgl. http://www.economist.com/news/science-and-technology/21694540-win-or-lose-best-five-battle-contest-another-milestone
Noch ist die Möglichkeit der Anwendung also wenigen Spezialfällen vorbehalten, zumal AlphaGo bisher ausschließlich die Fähigkeit besitzt Go zu spielen – dafür ist er gebaut und hat das Spiel gelernt.
Die CDU ist schon immer eine technikfreundliche und innovationsoffene Partei gewesen. Die Technik ist dabei kein Selbstzweck, sondern immer nur Mittel zum Zweck ist. Die Konsequenz aus dieser Haltung bedeutet, dass der Mensch immer im Mittelpunkt steht. Mit den Auswirkungen der Digitalisierung beschäftigt sich die CDU umfassend. Das machen die Beschlüsse des letzten Parteitags im Dezember 2015 in Karlsruhe deutlich. Sie können die Beschlüsse insbesondere zum Thema „Zukunft der Arbeit – Arbeit der Zukunft“, „Nachhaltig leben. Lebensqualität bewahren“ und „Zusammenhalt stärken – Zukunft der Bürgergesellschaft gestalten.“ auf CDU.de abrufen.
Vgl. https://www.cdu.de/karlsruhe2015/antraege-und-beschluesse
Die Zukunftsvision, die Sie ansprechen, in der kreativ denkende Computer dem Menschen überlegen seien, ist als „Technologische Singularität“ bekannt. An einem bestimmten Punkt in der Zukunft, sind künstliche intelligente Systeme theoretisch so selbstständig, dass sie sich selber weiterentwickeln und ihre Entwicklung nicht mehr vom Menschen abhängig beziehungsweise kontrollierbar ist. Zwar sind die aktuellen Entwicklungen noch weit von technologischer Singularität entfernt, das Beispiel AlphaGo legt in diesem speziellen Fall die Möglichkeiten zur Selbstverbesserung von künstlicher Intelligenz aber offen.
Erst vor wenigen Wochen konnte ich mich mit Marc Zuckerberg zu diesem Thema austauschen. Er nennt die Debatte um künstliche Intelligenz sogar hysterisch. Der Mensch hat es immer verstanden, Werkzeuge zu dem Zweck zu bauen, dass diese eine Aufgabe besser erledigen als der Mensch. Einen Computer, der ein Spiel spielt, sieht er ebenfalls nur als von Menschen gebautes Werkzeug. Er kann besser Go spielen, hat sich einige notwendige Fähigkeiten selbst beigebracht, aber bleibt ein Werkzeug.
Die wissenschaftliche und technologische Diskussion ist in diesem Fall aber weiterhin der politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Debatte weit voraus. Die Gefahr, dass die Entwicklung im Bereich Künstliche Intelligenz weiter als „futuristisch“ betrachtet wird, ohne schon jetzt die Folgen zu mit zu denken, birgt die Gefahr, dass eines Tages nur noch auf unumkehrbare technologische Weichenstellungen reagiert werden kann.
Aus diesem Grund hat der Ausschuss Digitale Agenda bereits im Jahr 2014, auch auf meine Initiative hin, das Büro für Technikfolgenabschätzung damit beauftragt, eine von neuen Daten und Fakten motivierte Bestandsaufnahme vorzulegen und Handlungsfelder für die Politik aufzuzeigen. Ich rechne bald mit einer Vorlage dieses Berichts. Erste Eindrücke können Sie hier in Berichten des Büros für Technikfolgenabschätzung bekommen:
- http://www.tab-beim-bundestag.de/de/untersuchungen/u10600-2.html
- http://www.tab-beim-bundestag.de/de/pdf/publikationen/tab-fokus/TAB-Fokus-010.pdf
Darüber hinaus ist das Thema Künstliche Intelligenz Bestandteil einer Vielzahl von Förderprojekten, die vor allem im Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie im Bundesministerium für Wirtschaft verantwortet werden. Maßgeblich ist in Deutschland das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz zu erwähnen, das auch mit Partnern aus der Wirtschaft tätig ist.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen. Für weitere Anregungen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit den besten Grüßen
Thomas Jarzombek
Ich habe darauf wie folgt geantwortet:
Sehr geehrter Herr Jarzombek,
vielen Dank für Ihre Antwort. Es ist gut zu lesen, dass Mitglieder der politischen Organe unseres Landes sich mit diesen Themen befassen, und natürlich freut es mich auch, dass Sie mit dem Begriff der Singularität etwas anfangen können. Allerdings ist diese im Gegensatz zu den Problemen, die ich in meiner Frage ansprach, sicher noch einige Jahrzehnte entfernt.
In der Tat beobachte auch ich, dass die politische Debatte in der Bundesrepublik noch nicht so weit ist wie die wissenschaftliche - aber was tun Sie dagegen? Sollte so etwas nicht auch im Bundestag diskutiert werden, um zum Beispiel die Regierung zu beauftragen, den wirtschaftlichen Impakt dieser Entwicklung in einer demokratisch zu bestimmenden Weise abzufedern? So etwas braucht natürlich Zeit - also sollte doch zweifellos mit der Diskussion - der politischen, nicht der wissenschaftlichen, wie sie z.B. das TAB führt - jetzt begonnen werden? Und zwar proaktiv, bevor für allzu viele Menschen (Berufskraftfahrer, Pflegekräfte, Anwälte, selbst IT-Consultants wie Sie und ich) die wirtschaftlichen Folgen am eigenen Leib spüren? Da das Thema uns schon sehr bald alle betrifft, müssen dann nicht auch alle Abgeordneten, nicht nur die jeweiligen Fraktionsexperten, darüber Bescheid wissen?
Ihre Antwort ist leider gerade im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen wenig konkret, es scheint mir jedoch der allgemeine Denkfehler durchzuscheinen, dass diese Automatisierungsrevolution nichts anderes sei als die vorherigen und wir die verlorenen Arbeitsplätze durch neue ersetzen würden.
Ich halte das für einen Irrtum. Dazu ein Beispiel: 1910 gab es in Deutschland etwa sechs Millionen Pferde, die in verschiedensten Branchen beschäftigt waren. Heute ist es nur noch eine Million, nahezu ausnahmslos in der Unterhaltungsbranche beschäftigt. Der Verbrennungsmotor und das Automobil haben die anderen fünf Millionen Pferde komplett überflüssig gemacht - und weil man Pferde nun mal nur bis zu einem gewissen Grad weiterqualifizieren kann, gab es auch keine neue Arbeit für sie. Die Pferde wurden dann geschlachtet.
Menschen sind da im Prinzip nicht anders als Pferde: Auch die menschliche Leistungsfähigkeit hat Grenzen, wie AlphaGo ja eindrucksvoll demonstrierte. So braucht es beispielsweise zehn Jahre, einen Top-Go-Spieler auszubilden, aber nur ein Jahr, AlphaGo sich selbst Go beibringen zu lassen - auf dem gleichen Leistungsniveau. Und natürlich lässt sich eine Software beliebig oft kopieren, sobald sie das Nötige gelernt hat - das "Ausbilden" einer KI ist also nicht nur schneller, es skaliert auch ungleich besser als die Ausbildung eines Menschen. Und die dazugehörige Hardware, um Menschen bei physischen Tätigkeiten zu ersetzen, kostet jetzt bereits weniger als ein Jahresgehalt eines Arbeiters. (Vgl. den Roboter "Baxter").
Es ist eben mehr als eine Erhöhung der Produktivität - vielmehr wird (in sicher nicht mehr als fünf bis zehn Jahren!) in weiten Bereichen der Produktionsfaktor Arbeit durch den Produktionsfaktor Kapital ersetzt. Und das hat längerfristig sogar Folgen über die bloße Arbeitsplatzsorge hinaus.
Als Ökonom werden Sie mir zweifellos zustimmen, dass aus dem Zusammenspiel wirtschaftlicher und militärischer Kräfteverhältnisse politische Ordnungen entstehen. Was bedeutet es für eine Demokratie, wenn ein Einzelner eine ganze Armee aus gehorsamen und zugleich vollkommen opferbereiten Soldaten befehligt, und womöglich außerdem Eigentümer der Fabrik ist, in der sie und die dazugehörige Infrastruktur hergestellt werden? Braucht dieser Jemand dann noch achtzig Millionen Mitbürger, oder werden sie ihm womöglich irgendwann einfach nur lästig?
Das sind, wie gesagt, keine Science-Fiction-Probleme mehr. Bitte sprechen Sie mir ihren Kollegen darüber.
Vielen Dank,
Mit freundlichem Gruß,
Ingo Heinscher
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