Sprache formt das Denken. Und weil das so ist, leidet Deutschland seit Jahrzehnten unter einem furchtbaren Missverständnis.
Seit Mitte der neunziger Jahre hat Deutschland nämlich jedes Jahr etwas, das die deutsche Sprache "Exportüberschuss" nennt. Klingt toll, oder? In der Sprache der deutschsprachigen Ökonomen heisst das soviel wie: Das Land exportiert (in Euro gemessen) mehr, als es importiert. Das hat lange Jahre sogar zum "Weltmeistertitel" gereicht, will sagen: Kein anderes Land exportiert soviel mehr, als es importiert, wie Deutschland. Naja, und das kennt man ja von der Haushaltskasse: Wenn man mehr einnimmt, als man ausgibt, dann ist das gut, richtig?
Was für die Haushaltskasse stimmt, ist im Falle einer Volkswirtschaft ganz anders: Und zwar, weil unser Bruttoinlandsprodukt eben keine Haushaltskasse ist. Im Privaten ist es gut, gewisse Ersparnisse und Reserven zu besitzen, weil es einem ermöglicht, unvorhergesehene Probleme zu lösen, in dem man Hilfe kauft oder es sich einfach auch mal leisten kann, eine Zeit lang nichts zu verdienen. Dazu legt man das Geld bei einer Bank an, und die muss es aufgrund fundamentaler gesetzlicher Bestimmungen wieder hergeben, wenn der Anleger es wünscht.
Bei einem ganzen Land aber ist das anders. Erstens, weil keine Gefahr besteht, dass ein ganzes Land einmal über nennenswerte Zeiträume hinweg nicht mehr arbeiten kann.
Zweitens, weil "mehr exportieren, als man importiert" bedeutet, dass Inländer ausländisches Geld besitzen - aber wie viel das morgen noch wert ist, ist höchst fraglich: In der Immobilienkrise wurden allein durch Neubewertung von US-Wohnhäusern unglaubliche Summe Geld "vernichtet". Vieles davon war in Subprime Mortgages angelegtes deutsches Geld aus Exportüberschüssen vergangener Jahre. Mit anderen Worten: Wir haben fleissig exportiert, aber dann letzten Endes nichts als Gegenleistung erhalten. (Klingt nicht mehr nach so einer tollen Sache, oder?)
Drittens bedeutet immer nur exportieren, dass Leute im Ausland sich gegenüber dem Inland verschulden müssen, und irgendwann brauchen sie Gelegenheit, diese Schulden zu begleichen. Das geht nur, in dem das Land irgendwann mal genau so viel mehr importiert als exportiert, wie es zuvor mehr exportiert als importiert hat. (Abzüglich eventueller Verluste durch Krisen im Ausland, natürlich. Und wieder grüßen die Subprime Mortgages.) Diese zwangsläufige "Importüberschussphase" wird natürlich bedeuten, dass sich die inländische Wirtschaft umstellen muss. "Umstrukturieren" ist ein sehr populäres Wort dafür, das aber im Grunde heisst: Leute werden arbeitslos werden und es eine Weile bleiben müssen. Und je höher die Beträge von Exportüberschuss und "Handelsbilanzdefizit" (so der landläufige Name für einen Importüberschuss) jeweils werden, desto drastischer sind die Effekte im Übergang. Eigentlich wollen kluge Politik und kluges Wirtschaften so etwas nach Möglichkeit vermeiden.
Die Lösung ist eigentlich sehr einfach und altbekannt: Möglichst ausgeglichene Handelsbilanzen. Weder Überschuss beim Export noch beim Import, auch auf kurze Frist nicht. Jedes Jahr sollte genau so viel importiert wie exportiert werden.
Und da steht uns im Deutschen unsere Sprache im Weg, oder besser: Die bisher unglückliche Wortwahl. Denn eine ausgeglichene Handelsbilanz ist eben kein "Überschuss" beim Export. Man kann dann also nicht das wohlige Gefühl haben, etwas "ansparen" zu können (aber das kann man gegenüber dem Ausland sowieso nicht wirklich, siehe oben). Also versuchen wir, weiterhin Exportüberschüsse zu erzielen, weil das ja eine gute Sache sein muss.
Würde man den "Exportüberschuss" so nennen, wie er eigentlich wirkt, könnte dieses Missverständnis vermieden werden. Im Grunde nämlich sprechen wir von einem Importdefizit. Wir importieren zu wenig.
Denn natürlich schlägt niemand vor, weniger zu produzieren und weniger gute Produkte ins Ausland zu verkaufen. Nein, die Lösung ist viel angenehmer: Einfach im gleichen Wert Dinge importieren. Dann hat man auch gleich etwas von seiner harten Arbeit.
Nun gibt es aber in einer Marktwirtschaft keine zentrale Planungsstelle, die beschließt, wie viel dieses Jahr zu importieren ist. Das Importdefizit ist die Folge von Millionen von Einzelentscheidungen. Wie kann man also auf politischer Seite dafür sorgen, dass mehr importiert wird? Man muss unterstützen, dass die, die mehr importieren würden, wenn sie könnten, auch die Möglichkeit dazu haben. Wer das ist?
Das beantwortet Euch besser selber.